Sonntag: Familienessen im Restaurant, große Geburtstagsrunde, ziemlich viele Leute am Tisch. Die wuselnde Kinderschar macht es dem Service-Personal manchmal nicht leicht, aber das kennen die schon und unser Kellner lächelt das gekonnt systemgastronomisch weg. Gute Stimmung, gutes Ambiente, gute Gespräche, aber dann geht was mit der Bestellung schief und plötzlich befinden sich alle in einem ungewollten Stresstest.
Mir sitzt die 16-jährige aus der kinderreichsten Familienverzweigung gegenüber und die Pubertät, in der sie bis zum Hals steckt, klagt mich sofort als nervende Erwachsene an. Ich widerstehe dem „Ich bin trotzdem cool"-Reflex und gestehe mir ein: Es stimmt ja auch, mich nervt's eigentlich genauso: Das Anspruchsdenken, die permanente Erwartungshaltung und die selbstgerechte Verurteilungsmentalität der Erwachsenenwelt sind wirklich kaum zu ertragen. Locker sind wir mit unseren uniformen Leben, den Bausparverträgen und der Lebensversicherung schon lange nicht mehr. Das Teenager-Mädchen kann eigentlich nur ein hilfloses: „Und? Wie läuft´s in der Schule?" von mir erwarten. – Buuuuuuhhhhhhh! Ich schäme mich direkt und dabei haben wir noch kein einziges Wort gesprochen.
Das Anspruchsdenken, die permanente Erwartungshaltung und die selbstgerechte Verurteilungsmentalität der Erwachsenenwelt sind wirklich kaum zu ertragen.
Der Kellner nimmt die Essensbestellung auf und der Teenie entscheidet sich für ein kleines Menü aus typisch italienischer Vorspeise und einem eleganten Pasta Gericht mit ungewöhnlichen Zutaten. – Hä? Wir sind in einem Pizzaladen. Und warum raucht die eigentlich nicht? Ich versuche, die hungrige Vorfreude auf das Essen mit einem Gesprächsansatz zu füllen und sage ihr, dass ich ihren Mantel toll finde. Der Komplimente-Türöffner funktioniert und sie erzählt ein wenig, was so angesagt ist. Wir reden gerade über Musik als das Hauptgericht kommt. Während sie sich zurücklehnt, um Platz zu machen für das Einsetzen des Tellers, erkennt sie schon: Das habe ich nicht bestellt! Enttäuschung auf ihrer Seite, Verwirrung auf der anderen.
Brave Mädchen kriegen keinen Ärger, aber leider auch nicht, was sie wollen
Es beginnt ein langes Hin und Her zwischen ihr und dem Service-Personal. Der Kellner behauptet, er hätte keinen Fehler gemacht und erwartet offenbar, dass sie klein bei gibt. Sie denkt überhaupt nicht dran und besteht darauf, das zu bekommen, was sie essen möchte. Das gibt es jetzt aber nicht mehr. Die Küche wird befragt, der Restaurant-Leiter kommt hinzu. Der Teller geht zurück, der Kellner motzt. Alle gucken. Sie ignoriert das einfach. Bäm, denke ich! Keine Einmischung der Eltern, keine Beschwichtigung oder der Versuch, zu Hilfe zu eilen. Null Stresssymptome beim Teenager. Wow! Ganz klar, was gerade passiert ist: Dieses junge Mädchen hat die Situation souverän gemeistert und niemand hat etwas anderes von ihr erwartet. Ich sitze am Tisch mit einer heranwachsenden Frau, die gelernt hat, für sich einzustehen, einen Konflikt auszutragen ohne Angst davor, Sympathien einzubüßen. Während ich schon beim kleinsten Anzeichen von Missfallen die Nerven verliere, hat sie sich von der Entrüstung der Bedienung überhaupt nicht beeindrucken lassen. Freundlich, aber bestimmt hat sie ihr Ziel verfolgt und zwar so lange wie eben nötig. Diesem Kind wurde beigebracht, dass es zählt, was es will, dass es sich dafür einsetzen soll, respektvoll. Diese junge Frau hat es nicht nötig, permanent gefallen zu müssen. Sie darf auch mal Stören, Fordern, unbequem sein. Mir geht auf, dass sie Selbstbewusstsein hat und gleichzeitig fallen mir all die Gerichte ein, die ich eigentlich nicht essen wollte. Und wieso? Weil ich Angst vor dem „Liebesentzug" des Kellners hatte?
Erziehungstipp für Mädchen: You go girl!
Ich begreife, wie wichtig es ist, vor allem seinen Töchtern beizubringen, dass sie sich nicht unsichtbar machen müssen, wenn es um ihre Belange geht. Die Kultur des braven Mädchens führt nicht nur zu falschem Restaurantessen, es führt zu manipulierbaren Frauen, zu ungerechter Bezahlung im Job, zu jungen Mädchen, die sich nicht trauen, laut „Nein!" zu sagen. Wir müssen unseren Töchtern beibringen, dass sie verdammt noch mal auf den Tisch hauen sollen. Während Aufmüpfigkeit bei Jungs noch als durchsetzungsstark deklariert wird, gelten Mädchen immer noch als zickig oder schwierig. Mädchen, die zu selbstbestimmten Frauen werden sollen, brauchen eine deutliche Botschaft von ihren Eltern. Sagt Euren Töchtern, dass sie für ihre Bedürfnisse und Rechte einstehen sollen, auch wenn sie andere scheinbar damit nerven. Sie sind nicht für die negativen Gefühle ihres Gegenübers verantwortlich, nur weil sie sagen, was sie wollen. Besonders Mädchen müssen lernen, sich nicht durch manipulative Taktiken gefügig machen zu lassen. Die eigenen Wünsche und Grenzen zu kennen und diese ganz klar benennen zu können, ist eine Kompetenz, die ein Mädchen zur selbstbewussten Frau macht, die ihren Weg geht.
Als die 16-jährige dann endlich das richtige Essen bekommt, sind die meisten Geburtstagsgäste bereits beim Nachtisch. Ich sehe zu meiner Tochter am anderen Ende des Tisches rüber. Sie löffelt das Eis, das sie bestellt hat. Sie wird im Leben nicht immer kriegen, was sie will, aber ich kann ihr hoffentlich beibringen, dass sie ruhig auf den Tisch hauen darf, wenn ihr das nicht passt.
Fotos: Unsplash
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