Zu meinem Geburtstag habe ich ein Sushi Puzzle bekommen, ich bewahrte es mir auf und freute mich wie Sau drauf, es zu öffnen. Auch dieses Puzzle war gebraucht und die nette Person, die es meinem Mann verkauft hat, hat es vorsortiert. Wirklich wahr. In Rand- und in Innenstücke. Ich spürte, wie ich wütender wurde. Wer macht sowas? Warum? Um nett zu sein. Ach, gute Frau, danke, aber man ey. Das Schönste, vielleicht das Schönste am Puzzlen ist dieses erste Sortieren.
Denn es ist die noch denkärmste Tätigkeit. Rand? Auf die Seite. Kein Rand? Auf die andere Seite. Gucken, fühlen, nachgucken, sortieren. Das Hirn konzentriert sich auf genau eine Sache. Kröpfchen, Töpfchen, Tröpfchen, Töpfchen. Wundervoll. Herrlich.
Ich puzzle nicht seit Jahren, eher seit zwischen den Jahren. Wir saßen rum, und wie so oft in meinem Leben inspirierte mich DariaDaria. Ich muss sagen, dass das die eine Person auf Instagram ist, der ich seit Ewigkeiten folge und die ich richtig mag. Ich finde Maddie ist eine der witzigsten Personen im Internet und ich mag es so sehr, sie zu begleiten. Alle anderen nicht, alle anderen sind scheiße. Auf DariaDaria wird also Reality TV geguckt, saures Weingummi gegessen und gepuzzelt. Check, Check, Check.
Ich gucke also auf Kleinanzeigen rum, und siehe da, es gibt sehr, sehr viele Menschen da draußen, die ihre Puzzles loswerden wollen, für umme - vollständig, OVP. Das erste, was ich finde, ist eins der Nationalmannschaft von 2016. Hammer. Schickte den Mann zum Abholen (so macht man das, oder?) und begann. Mats Hummels erkannte ich an den Venen an seinem Unterarm, Marco Reus an der Frisur (Götze auch), obviously und dann waren da aber so mind. 5 junge Männer, die bekamen erst ein differenzierteres Gesicht, wenn sie zusammengesteckt waren. Ich jedenfalls war voll im Bann und konnte nicht erklären, wieso.
Vielleicht doch. Es beruhigte mich. Der Stress des Jahres, die tausend Millionen Lesungen, Zugfahrten, Interviews, Podcasts, und ja, ich habe auch noch Kinder und Haus und eine extrem kinderreiche Familie, und Freundinnen. Und ja, ich könnte auch Sport machen, das ist richtig, das würde mich auch wieder beruhigen. Aber das wäre wieder wie ein Job, wisst ihr was ich meine? Es kommt ja was bei rum. Lesen tue ich auch noch, aber auch da, lese ich, um die Person zu interviewen? Als Recherche fürs nächste Buch?
(19. September, blockiert euch den Tag und kauft 'Migrantenmutti'. Ja das ist der Titel, schwöre)
Doch Puzzlen? Bringt NIEMANDEM was. Es ist so geil. Und wenn es komplett fertig ist? Perfekt und wunderschön, dann machst du es wieder kaputt. Herrlich.
Am Anfang stehst du vor dieser Menge an Teilchen, du weißt überhaupt nicht, wie du das schaffen sollst. Du weißt aber, es gibt einen Punkt, da fängst du an. BEI DEN RANDSTÜCKEN BEISPIELSWEISE. Ich puzzle sehr gerne mit Gesichtern, und ja, ich liebe Disney Puzzles. Aber Asterix war auch krass, einfach alle Charaktere ever in einem Bild vereint, extrem rassistische Scheiße. Richtig Bock gemacht hat auch das Gruppenpuzzle von der zweiten Staffel von Big Brother, ihr merkt schon, ich mag die ganz wahllosen Versionen.
Jedenfalls, ich puzzle solange bis das Hirn etwas ruhiger wird. Es ist meine persönliche Pomodoro-Methode: 10 Minuten Puzzle, 30 Minuten Arbeit. Die Finger sind beschäftigt und scrollen nicht mehr sinnlos durch soziale Netzwerke. Habe ich schon erzählt, wie sehr ich Insta hasse? Habe ich, mehrfach. Oder was das Internet mit den Menschen macht, ugh, bäh.
Wie ich von sehr netten Menschen auf Instagram weiß, puzzlen sie inzwischen auch. Die Kinder gucken mir gerne zu, selbst sind sie nicht interessiert. Manchmal legen sie ein Teil, sie dürfen immer das letzte Teil legen, denn, Achtung Schmalz, sie vervollständigen mich ja auch.
Zum Geburtstag hat Regina Feldmann mir ein Puzzle von mir selber geschenkt. Ich habe es erst im Hotelzimmer ausgepackt und war sehr froh, denn ich so geflennt, dass ich mein Make-up ruiniert hätte. Wie unfassbar cute kann man eigentlich sein? Danke.
Schreiben ist anstrengend, gerade wenn man über ein Thema schreibt, bei dem sich viel löst, aber auch viel hochkommt. Das Puzzlen lenkt besser ab, als Alkohol es je könnte. Während ich das Bild vor mir sortiere, ordnen sich die Gedanken.
Ich fahre in ominöse Ferienwohnungen, manchmal für zwei Tage, manchmal für eine Woche und ich schreibe. Ich gucke Fernsehen in Hotels und mir fällt etwas ein, und ich schreibe. Ich schreibe mir alles von der Seele, was Elternschaft für mich bedeutet, dass Essen Liebe ist, warum Straßenschuhe (und -kleidung) nicht ins Haus gehören und ich schreibe über Schmerzen, Erwartungen und Hanau. Ich kann das Wort dieses Ortes kaum abtippen, ohne dass ich wieder flenne.
Hanau hat uns alle verändert, glaub ich, zumindest die meisten Migras, die ich kenne. Es gab auch die Ausstellung, letztes oder vorletztes Jahr im Gorki Theater, wir standen alle fassungslos vor den Bildschirmen. Es ist so ein Upfuck. Wo nehmen wir noch die Kraft her? Ich kriege sie vom Puzzlen, wirklich, ich meine das ernst.
Migrantisch zu erziehen, was heißt das überhaupt. Was heißt das, wenn deine Mutter und deine Tanten geputzt haben, und jetzt tauscht sich deine Mutti-Whatsappgruppe über Putzfrauen aus. Also meine nicht mich, ich habe keine Mutti-Whatsappgruppe, ich habe Whatsappgruppen sortiert nach den Reality Shows, die wir gerade gucken. Und Konzerten, die wir als nächstes besuchen. (LIZZOOOOOOO!)
Ich glaube, wenn du beim Gedanken an Elternschaft über Herkunft, Sprache und Polizeigewalt nachdenken musst, dann ist das Salz auf der Brezel irgendwie scheißegal. Nicht nur, aber beim zweiten Kind spätestens. Die meisten Migras, die ich kenne, sind mit sehr, sehr vielen Verwandten aufgewachsen, vielleicht haben wir Familie anders gelernt. Vielleicht wissen wir, wie geil gewürztes Essen schmeckt.
Meine Deadline für das Manuskript ist der 1.4. und bis dahin puzzle und schreibe ich, bis mein Gehirn völlig frei ist.
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